Die Linken-Fraktion macht sich für Nicolás Maduro stark – einen Mann, der in Venezuela seine Gegner ermorden lässt und Millionen Menschen in die Flucht treibt. Unser Autor, der das Elend in Lateinamerika kennt, ist entsetzt und wütend.
Liebe Frau Heike Hänsel, Lieber Herr Andrej Hunko,
ich weiß nicht, ob Sie wie der Autor dieser Zeilen schon einmal am offenen Sarg eines mit Kopfschüssen hingerichteten Studenten in Venezuela gestanden haben. Ich weiß nicht, ob Sie in den letzten Jahren einmal über die Straßen der lateinamerikanische Hauptstädte Bogota, Lima oder Quito gegangen sind und die vielen Tausend gestrandeten venezolanischen Flüchtlingsfamilien gesehen haben, die dort bettelnd ums Überleben kämpfen müssen. Den ganzen Kommentar hier lesen.
Wer sich einmal die Mühe macht und bei „Google“ die Schlagworte „Colombia, Paz, Fundacion“ (Kolumbien, Frieden, Stiftung) eingibt, wird geradezu erschlagen von den Suchergebnissen. Unzählige Institute, Stiftungen und Organisationen kümmern sich in Kolumbien nach eigenen Angaben um den Frieden. Sagt uns zumindest die Suchmaschine. Nun hat Kolumbien noch ein weiteres Friedensinstitut mit dem wunderschönen Namen „Instituto Colombo-Aleman para la Paz“ (CAPAZ) dazu bekommen. Das deutsch-kolumbianische Friedensinstitut wird nach offiziellen Angaben vom Auswärtigen Amt mit 400.000 Euro jährlich gefördert, andere nicht bestätigte Quellen sprechen gar von einem Etat von bis zu 15 Millionen Euro. Ein strammer Batzen für den deutschen Steuerzahler.
Natürlich sollte man auch dem gefühlt 100. Friedensinstitut in Bogota die Chance geben, sich zu bewähren. Die personelle Besetzung der neuen Einrichtung lässt allerdings auf den ersten Blick erkennen, wohin die Forschungsreise geht. Das von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und dem Sonderbeauftragten der Bundesregierung für den Friedensprozess, Tom Koenigs (Grüne), angestoßene Projekt, hat sich erst einmal für traditionelle Kapitalismuskritiker entschieden. Die Chancen, dass sie das aus rot-grüner Sicht gewünschte Ergebnis herbeiforschen, stehen also nicht schlecht. Das ist auch legitim, nur sollte dann der deutsche Steuerzahler nicht dafür zur Kasse gebeten werden. Dafür gibt es die Etats der politischen Stiftungen.
Bleibt deshalb abzuwarten, ob das Auswärtige Amt und die Deutsche Botschaft bei der weiteren personellen Besetzung auf eine Meinungspluralität drängen, damit nicht nur eine Sicht der Dinge finanziert wird, sondern eine tatsächlich unabhängige und breit aufgestellte Forschung möglich ist, die alle gesellschaftlichen Strömungen umfasst. Ansonsten drängt sich nämlich der Eindruck der Klientelpolitik auf: Es wird mit viel Geld ein Institut geschaffen, das politisch nahestehende Wissenschaftler mit Forschungsaufträgen versorgt, die sich wiederum mit entsprechenden Ergebnissen revanchieren. Auch die Friedensforschung kann ein lukratives Geschäft sein.
Armutsbekämpfung wäre wichtiger
Bei allen richtigen und sinnvollen Entscheidungen, die das Auswärtige Amt in den vergangenen Monaten im Hinblick auf Kolumbien getroffen hat, insbesondere bei der Unterstützung der Übergangsjustiz oder der Anti-Minen-Projekte, ist die Schaffung eines weiteren Friedensinstituts zum derzeitigen Zeitpunkt verfrüht, wenn nicht sogar zynisch. Solange indigene Kinder in La Guajira verhungern, Menschenrechtler von Paramilitärs gejagt und Soldaten von der ELN-Guerilla getötet werden, sollten die Prioritäten vielleicht erst einmal in diesem Bereich gesetzt werden. Stattdessen trifft sich deutsch-kolumbianische Friedenselite im eleganten National Museum in Bogota bei Fingerfood und Premiumkaffee, von der Wand grüßt ein neues für viel Geld designtes Logo und die Experten sinnieren in weißen Ledersesseln über die Ursachen des Konflikts. Da muss man erst mal schlucken.
Auf meinen Beitrag in der „Welt“ zum Thema habe ich überdurchschnittlich viel Resonanz erhalten. Wie immer positive und negative Kritik. Eine möchte ich aufnehmen: Es hieß, ohne eine Aufarbeitung des Konflikts würde es keinen dauerhaften Frieden geben. Ich finde, dass dies sehr ungerecht gegenüber allen bisher bestehenden Institutionen ist. Wer zum Beispiel die hervorragende Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bogota kennt, die seit Jahren intensiv und wissenschaftlich fundiert die Ursachen des Konfliktes aufarbeitet, wer die engagierte Arbeit der kirchlichen und zivilrechtlichen Organisationen betrachtet, die sich seit Jahren und zwar an vorderster Front mit der Erforschung des Krieges beschäftigen, der wundert sich, über ein neues, zusätzliches Institut, das plötzlich alles noch besser und tiefgründiger machen soll? Ist die Arbeit von Adveniat, Misereor, Caritas oder von FESCOL, KAS oder HSS nicht gut genug?
Was hätte man mit dem Millionenetat für CAPAZ alles bauen können: Schulen, Straßen, Krankenhäuser – nicht im europäischen Stil, aber in den ländlichen Regionen des Landes, wo der Konflikt besonders heftig tobt, wäre schon eine Grundausstattung eine Riesenhilfe. Und ganz nebenbei würden damit zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
Tierra, Techo und Trabajo
Arbeitsplätze ist ein gutes Stichwort. Wann gibt es in Bogota eigentlich einmal einen deutsch-kolumbianischen Investitionsgipfel. Eine Initiative, die von der Handelskammer und der Botschaft getragen, das neue befriedete Kolumbien potentiellen Investoren nahebringt? Papst Franziskus verweist immer wieder darauf, was tatsächlich notwendig ist, um den Frieden dauerhaft zu sichern: Tierra, Techo und Trabajo (Land, Obdach und Arbeit). Es wäre schön gewesen, hätte sich die deutsche Politik erst einmal intensiv um die Armutsbekämpfung in Kolumbien gekümmert. Soziale Wirtschaftspolitik ist immer auch aktive Friedenspolitik. Nun fließen Millionen an den sozial Schwachen vorbei in einen ohnehin schon üppig gefüllten Topf.
Ich hoffe, ich werde von der Arbeit von CAPAZ in den nächsten Jahren eines Besseren belehrt.
Das war eine krachende Niederlage. Doch anstatt die Gründe für die bitteren Ergebnisse zu aufzuarbeiten und seine Politik zu reformieren, setzt Venezuelas Präsident Nicolas Maduro auf ein ideologisches Weiter so. Es ist ein Trauerspiel.
Wer in den letzten Jahren regelmäßig in Venezuela zu Gast war, der konnte den Stimmungsabfall gerade zu mit den Händen greifen. Was waren das für rauschende Feste, die Venezuelas Sozialisten Mitte des vergangenen Jahrzehnts feierten. Revolutionsführer Hugo Chavez fuhr einen Wahlsieg nach dem anderen ein. Nur ein einziges Mal, als es darum ging die Verfassung zu ändern, versagten ihm seine Landsleute die Gefolgschaft. Ein Warnsignal, das allerdings nie tiefergehend analysiert wurde. Schon damals waren die Venezolaner bereit, dem charismatischen Chavez ihre Herzen zu schenken. Sie waren aber nicht bereit, sich ihm ganz auszuliefern.
Titelseite von El Nacional nach dem Wahlsieg der Opposition
Auch die politischen Kräfte, die Chavez stets kritisch gegenüberstanden, müssen eines einräumen. Das historische Verdienst von Chavez war es, das lateinamerikanische Selbstbewusstsein und die eigene Identität zu stärken. Dass er die Armen, also die bis dato von der konservativ-bürgerlichen Politik weitgehend ignorierten Bevölkerungsschichten in den Mittelpunkt seiner Bewegung stellte, war ebenfalls ein Grund für seine Beliebtheit. Das war es allerdings auch schon. Gut gemeint, bedeutet nicht gleichzeitig auch gut gemacht.
Es waren vor allem die katastrophalen handwerklichen Fehler der Sozialisten, die das Land in den Abgrund führten. Chavez’ farbloser Nachfolger Nicolas Maduro versucht es mit einer Legendenbildung: Ein „Wirtschaftskrieg“ sei für den Niedergang der venezolanischen Ökonomie verantwortlich. Die bösen Spekulanten, die den Ölpreis in Tiefe rissen, waren allerdings auch die gleichen, die dafür sorgten, dass Venezuela fast ein ganzes Jahrzehnt im haushaltspolitischen Paradies lebte, als sie für immer neue Höchststände sorgten. Damals gab es allerdings keinerlei Kritik aus Caracas, stattdessen wurde im neoliberalen Stil abkassiert. Und es wurde eine historische Chance vertan, die wohl so schnell nicht wiederkommt. Venezuela investierte in Ideologie, statt in Infrastruktur. All die Ölmilliarden hätte das Land nutzen können, um sich unabhängig machen zu können, vom Ölpreis und damit den verhassten Spekulanten. Doch statt in die eigene Wirtschaft oder deren Aufbau zu investieren, versagte das Regime in Caracas auf der ganzen Linie. Stattdessen leistete sich das Land eine völlig aus dem Ufer geratene Bürokratie und eigene Parteimedien, die derartig einseitig berichten, dass selbst der US-Sender FoxNews vor Neid erblasst. Und es gab immer neue Kommissionen, die niemand brauchte, die aber viel Geld kosten.
Repression statt Reform
Schon bei den Präsidentschaftswahlen 2013 wäre es fast vorbei gewesen mit der Erfolgsserie. Nicolas Maduro rettete sich mit allerlei Tricks über die Ziellinie. Dass die Vorfälle rund um die Wahlen damals niemals aufgearbeitet wurden, haben ihm seine Landsleute nicht vergessen. Dass Wahllokale in den Oppositionshochburgen attackiert wurden, dass oppositionellen Wählern in Behörden offen mit Entlassung gedroht wurde, dass anschließend Jagd auf Oppositionelle gemacht wurde, war der Sündenfall der Nach-Chavez-Ära. Dass die Massenproteste unterdrückt und niedergeschossen wurden, all das hat das Wahlvolk sehr genau registriert und seine Konsequenzen gezogen. Wie sehr Venezuela einem Dampfkessel glich, zeigten die sozialen Netzwerke nach der Wahl. Behielten die meisten Venezolaner aus Angst vor politischer Verfolgung bis zum Wahltag ihre digitale Meinung zurück, explodierten die Netzwerke nach Bekanntgabe des Ergebnisses geradezu. Der Wahlsieg der Opposition glich einer Befreiung. Endlich durfte auch der einfache Mann auf der Straße sich wieder frei äußern, ohne Angst zu haben, dafür irgendwelche Konsequenzen tragen zu müssen.
Das Märchen vom Wirtschaftskrieg
In einer ersten Reaktion machte Maduro den „Wirtschaftskrieg“ für das Scheitern der Sozialisten bei der Wahl verantwortlich. Das macht wenig Hoffnung, dass er zu einer selbstkritischen Analyse fähig ist. Dringende Korrekturen in der Wirtschaftspolitik, die dem völlig zerstörten privatwirtschaftlichen Sektor die Chance für einen Neuaufbau gibt, wären stattdessen der richtige Ansatz. Kein Unternehmer der Welt verzichtet freiwillig auf Einnahmen, wenn aber die Produktionskosten die Einnahmen übersteigen, dann kann ein Wirtschaftssystem nicht funktionieren. Maduro hat das bis heute nicht verstanden und arbeitet stattdessen an einer bizarren Legendenbildung. Dass es einen Schmuggel an der Grenze zu Kolumbien gibt, ist richtig. Dies ist aber eine Folge der Wirtschaftspolitik und nicht deren Ursache. Als Maduro anfing, dann die ausländerfeindliche Karte zu spielen und gegen die in Venezuela lebenden Kolumbianer zu hetzen begann, wandten sich auch viele linke Wähler angewidert ab.
Angst statt Argumente
Markenzeichen Schlagstock
Besonders übel aber ist den Venezolanern der Umgangston der Sozialisten aufgestoßen. Fast in jeder Familie in Caracas und den anderen großen Städten gab es nach den Massenprotesten ein Mitglied, das die schweren Übergriffe der Polizei mit eigenen Augen gesehen oder am eigenen Leib miterlebt hat. Wenn die Mächtigen dann trotz dieser tatsächlichen Erlebnisse eine andere Version verbreiten, dann ist es um die Glaubwürdigkeit geschehen. Dass anschließend nur Vertreter der Opposition für die Ausschreitungen haftbar gemacht wurden, während die politisch Verantwortlichen der sozialistischen Eliten komplett verschont wurden, hat einen tiefen Graben zwischen Regierung und Volk entstehen lassen. Spätestens im Frühjahr 2014 hat sich der Rechtsstaat in Venezuela verabschiedet. Die Rolle des Innenministers, der Generalstaatsanwältin und führender sozialistischer Gouverneure, die via Twitter zur Jagd auf die Opposition aufriefen, müssen von einer Wahrheitskommission aufgearbeitet werden. Ebenso die Rolle des Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello, dessen TV-Show als Markenzeichen einen Schlagstock besitzt, der Menschenrechtlern via Kamera unverhohlen droht und der als Kopf der völlig aus dem Ruder gelaufenen linksgerichteten paramilitärischen „Colectivos“ gilt. War Chavez für viele Venezolaner ein Hoffnungsträger, so machen Maduro und Cabello ihren Landsleuten Angst. Und Angst wählt man nicht, in keinem Land der Welt.
Beifall aus Berlin für die Schlagstock-Politik
Auch die Rolle der europäischen Linken gilt es hier zu kritisieren. In der deutschen Linksfraktion gibt es Bundestagsabgeordnete, die der Schlagstock-Politik Cabellos und Maduros Beifall spenden. Die einer Regierung die Treue halten, die ihre Kritiker einsperrt und auf sie schießen lässt. So viel ewig gestriges Gedankengut kennt man eigentlich nur von Anhängern des Rechtsextremismus. Das Schweigen vieler europäischer Linker zu den gravierenden Menschenrechtsverletzungen führte dazu, dass sich Caracas in seinem Kurs bestätigt fühlte. Nur wenige internationale Linke wie Pablo Iglesias (Spanien) oder Uruguays Ex-Präsident Pepe Mujica hoben warnend den Zeigefinger, als es um die Frage der politischen Gefangenen ging. Doch ihre Stimmen wurden nicht gehört, nicht in Caracas und auch nicht in Berlin. Die Quittung gab es am Wahltag.
Das Monster sitzt im Klassenzimmer. Kokain, Heroin, Crystal Meth – die Kids wissen, wie sie an Drogen kommen. Es gibt nur ein Mittel gegen das zynische Geschäft der organisierten Kriminalität, glaubt Lateinamerika-Spezialist Tobias Käufer: Der Staat muss selbst den Drogenhandel übernehmen. Ein Gastbeitrag von Tobias Käufer für die HAZ.
Venezuelas Demokratie schmiert ab: Erschossene Studenten, abgeschaltete unabhängige Radiosender, inhaftierte Oppositionspolitiker. Die Menschenrechts-Bilanz der regierenden Sozialisten in Caracas ist eine Katastrophe. Kommentar von Tobias Käufer für die Südwest-Presse.
Der junge Hugo Chavez hält das kleine Büchlein mit der venezolanischen Verfassung in die Fernsehkameras. Warum um eine Erlaubnis fragen, die stehe noch hier drin, spottete der Hoffnungsträger einer ganzen Generation damals. Chavez spielte auf ein Demonstrations-Verbot an, das die Mächtigen des alten Venezuelas der jungen aufstrebenden sozialistischen Bewegung um Chavez einst auferlegen wollte. Das Video hat die aktuelle oppositionelle Studentenbewegung vor ein paar Monaten erneut ins Netz gestellt. Es war ihre Antwort auf den Versuch des amtierenden sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro, der im Frühjahr die Massenproteste verbieten lassen wollte.
Es ist entlarvend, wie sich die Geschichte wiederholt. Und auch in einem anderen Fall wird der mittlerweile verstorbene Hugo Chavez zu einem Kronzeugen der Opposition. Wieder war es der junge Chavez, der kritisierte, dass die offiziellen Amtsträger ungeniert die Privatflugzeuge des staatlichen Erdölkonzerns PSVSA nutzen würden. Er kündigte an: Das wird ein Ende haben, das eingesparte Geld werde den Armenvierteln des Landes zu Gute kommen. In diesen Tagen wird Venezuela von einem ähnlichen Skandal erschüttert, denn Venezuelas mächtige Sozialisten nutzen mittlerweile wie ihre verhassten Vorgänger den Flugzeugpark des staatlichen Erdölkonzerns wie es ihnen gefällt. Das Verhalten der Mächtigen hat sich nicht geändert, nur die Farbe ihrer Hemden.
Immer mehr Militärs in der Regierung
Die Anzahl der gut bezahlten Militärs, die sich in der Regierung wiederfinden, ist vor allem in zweiter und dritter Linie erschreckend hoch und erinnert an dunkle lateinamerikanische Epochen. Ranghohe Oppositionspolitiker wie Leopoldo Lopez sitzen trotz Protesten von Menschenrechtsorganisationen, Friedensnobelpreisträgern und den Vereinten Nationen bereits im Gefängnis und so wie es ausschaut, werden bald weitere folgen. Nun wirft die Justiz Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado vor, sie soll ein Attentat auf Präsident Maduro geplant haben. Auch sie könnte hinter Gittern verschwinden. Machado hatte übrigens für das Jahr 2016 mit Blick auf die katastrophale Bilanz Maduros den Start eines Amtsenthebungsverfahrens angekündigt, wie es die Verfassung als eine Möglichkeit vorsieht.
Wer inzwischen auf das Schicksal des Häftlings Leopoldo Lopez blickt, sollte einmal über den Tellerrand hinausschauen. In Chile, Uruguay und Brasilien sitzen derzeit Poliktikerinnen und Politiker in den Präsidentenpalästen, die in ihrer Biographie eines gemeinsam haben: Sie saßen wegen ihrer politischen Überzeugung im Gefängnis. Diese Haftzeit hat ihnen eine ungeheuere Glaubwürdigkeit verliehen, auf die sie heute noch bauen können. Venezuelas Sozialisten haben mit der Inhaftierung Lopez langfristig betrachtet, einen schweren Fehler begannen.
Im Gespräch mit Maria Corina Machado
Venezuelas Regierung geht systematisch vor wie ein sozialistisches Land aus dem 20. Jahrhundert: Zug um Zug werden die führenden Köpfe der Opposition erst entmachtet, dann verhaftet und schließlich weggesperrt. Regierungskritischen Tageszeitungen wird der Zugang zum Zeitungspapier so schwer wie möglich gemacht, während gleichzeitig neue sozialistische linientreue Druckerzeugnisse die Straßen überschwemmen. Die staatlichen Medien schwimmen im Geld, selbst linke deutsche Lobbyportale erhalten Spenden. Wer wegschaut und lobt, statt kritisch zu hinterfragen, verdient gutes Geld und macht Karriere. Auf der anderen Seite stehen hunderte arbeitslose Journalisten, die sich nicht kaufen lassen wollten. Sie zahlen einen hohen Preis. Gleichzeitig baut der Staatsapparat eine neue Art „Stasi“ auf. Sein Ziel: Journalisten, oppositionelle Politiker und kritische Studentenführer. Das Leben der Anderen ist scheinbar wieder hochinteressant.
Jeden Tag verlassen junge gut ausgebildete Venezolanerinnen und Venezolaner frustriert das Land, weil sie keine Hoffnung auf Besserung mehr haben. Weil nicht Kompetenz und Engagement über Aufstiegsmöglichkeiten entscheiden, sondern Parteizugehörigkeit, Linientreue und familiäre Kontakte. Viele von ihnen sind zu Beginn des Jahres auf die Straße gegangen. Sie hatten gehofft, dass ihre Stimme gehört wird. Dass die Regierung endlich eine Antwort findet, auf die Lebensmittelknappheit, die staatliche Zensur, die total aus dem Ruder gelaufene Kriminalität und die Gewalt der gefürchteten paramilitärischen Banden, den sogenannten Colectivos. Einen Moment lang schien es so, als würde Präsident Maduro auf dem Höhepunkt der Krise auf diese Kritik eingehen, als er öffentlich die Gewalt brandmarkte und alljenen absprach, echte Venezolaner zu sein, die eine Waffe auf ihre Landsleute richteten. Doch die Macht dieser regierungsnahen Colectivos, einst von Chavez mit Waffen ausgestattet, um eine gefürchtete US-Invasion abzuwehren, ist mittlerweile viel größer als der Präsident selbst. Und die Angst vor diesen Banden ist überall greifbar, denn sie kontrollieren ganze Stadtviertel per Videokamera und Spitzelnetzwerk.
Venezuelas Studenten fliehen aus dem Land
Venezuelas Studenten verlassen in Scharen das Land, weil die Staatsmacht mit Handschellen, brutaler Gewalt und Pistolenschüssen auf ihren Hilferuf reagierte. Eine Anwältin, die das alles dokumentierte, ist mittlerweile vor Morddrohungen nach Tschechien geflohen. Von der Staatsmacht erschossene Studenten: Das gibt und gab es nicht nur in Mexiko oder Kolumbien, das gibt es auch in Venezuela. Ein paar Sicherheitskräfte, die das Pech hatten, das ihre Gewaltaktionen auf Video aufgezeichnet wurden, wandern deswegen hinter Gitter. Die geistigen Urheber der staatlichen Gewalt aber bleiben unangetastet. Diese Ungerechtigkeit schafft Wut und einige aus dem Lager der Opposition greifen deshalb zu gewalttätigen Mitteln, weil sie offenbar nicht mehr an die Wirkung friedlicher Proteste glauben. Die Spirale der Gewalt beginnt sich zu drehen.
Das Land ist längst zum gefährlichsten Fleckchen Erde in Südamerika geworden, die Aufklärungsquote ist erbärmlich. Niemand wagt es sich mit den Colectivos anzulegen, kein Polizist, kein Staatsanwalt, kein Richter, denn die Verbindungen der Banden reichen bis ganz oben. Wer einmal mit eigenen Augen gesehen hat, wie diese motorisierten schwer bewaffneten Banden oppositionelle Politiker umstellen, regierungskritische Zeitungshäuser umkreisen oder vor Wahllokalen die Bürger einschüchtern, kann nur den Hut vor jenen ziehen, die sich von diesen unmissverständlichen Drohgebärden nicht einschüchtern lassen. Zivilcourage ist lebensgefährlich, Demokratie kostet Mut.
Im Gespräch mit Bürgermeister Antonio Ledezma (Caracas)
Da wahre Ausmaß dieser Gewalt und seiner Hintergründe wird wohl erst irgendwann einmal eine unabhängige Wahrheitskommission ans Licht bringen, wenn diese Regierung in sich zusammengebrochen ist. Die bange Frage bleibt, wie viele Menschen bis dahin noch auf den Straßen Valencias, Maracaibos und der Hauptstadt Caracas sterben müssen.
Hugo Chavez hat sich zweifellos verdient gemacht um dieses Land, als er erstmals die Armen in den Mittelpunkt der Politik stellte. Er hat Sozialprograme aufelegt, die gut gemeint, aber schlecht gemanagt wurden. Die Armen haben unter Chavez erstmals von einem Staat auch profitiert, als nur eine Last zu sein. Ihre Wählerstimme war in den Kosten dafür gleich mit eingepreist. Heute kann kein Präsidentschaftskandidat mehr in Lateinamerika Wahlen gewinnen, der dieser Bevölkerungsgruppe kein inhaltliches Angebot macht. Die historische Schuld des Revolutionsführers ist es, dass er das Lager seiner Anhänger mit Waffen so vollgestopft hat, dass einem Angst und Bange werden kann. Kontrollierbar ist das schon lange nicht mehr. Und es soll offenbar auch so bleiben, denn es sichert die Macht der führenden sozialistischen Familien ab.
Wirtschaftspolitik: Keine Ideen, keine Konzepte
Und Chavez hat es auch versäumt, alternative Wirtschaftszweige aufzubauen, die das Land von der sklavischen Abhängigkeit zum Erdöl befreit. Das Geld wäre da gewesen, doch die Ideen und die Konzepte fehlten. Jetzt stürzt der Ölpreis ins Bodenlose und mit ihm der venezolanische Staatshaushalt. Venezuela hat heute eine Regierung, die nur noch darauf hoffen kann, dass die Zeit des Klimakillers Erdöl noch möglichst lange anhält. Je tiefer der Ölpreis fällt, desto mehr Öl muss Venezuela verkaufen. Andere bemerkenswerte Wirtschaftszweige hat das Land nicht.
Chavez gewann die Präsidentschaftswahlen im Dezember 1998 mit einem Stimmenanteil von 56 Prozent. Es war eine Zeit, die viele Venezolaner voller Hoffnung auf ein neues, anderes Venezuela verbanden. Heute, fast 16 Jahre später, ist die Mordrate so hoch wie nirgendwo in Südamerika, die Opposition wird gejagt, während sich die linientreue Generalstaatsanwältin auf Parteiveranstaltungen feiern lässt. Venezuelas mächtigste Parteifürsten feiern in Caracas, Miami und dem Steuerparadies Panama-Stadt rauschende Partys und posteten die Bilder sogar lange in den sozialen Netzwerken, bis ihnen der Inlandsgeheimdienst steckte, dass das doch keine so gute Idee ist. Parlamentspräsident Diosdado Cabello lässt seine Tochter Daniella von den staatlichen Medien als Sängerin und Model feiern. Er steht damit ganz in der Linie mächtiger US-amerianischer Milliardärs-Familien und ihrer Töchter Paris Hilton und Ivanka Trump. Vitamin B und ein reicher Papa helfen in Venezuela wieder Karriere zu machen. Daniella macht Tourismus-Werbung für das Land, in dem es vor ein paar Monaten ein deutscher Unternehmer nicht einmal vom Flughafen ins Hotel schaffte. Er wurde ebenso erschossen wie eine ehemalige Miss-Tourismus, die es wagte an einer der Studentenproteste teilzunehmen.
In Venezuela ist aus Überzeugung Unterdrückung geworden, aus Aufbruchstimmung wurde Angst. Selbst die populären Sozialprogramme funktionieren nicht mehr, ohne die Öleinnahmen. Und es gibt wenig Hoffnung, dass sich daran in nächster Zeit noch etwas ändern wird. Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist gescheitert, alles was jetzt noch kommt, sind seine letzten Zuckungen unter denen noch eine Menge Menschen zu leiden haben werden. Oder es kommt sogar eine Diktatur. Genügend mächtige und gut verdienende Generäle, die viel zu verlieren hätten, wenn die Sozialisten einmal nicht mehr sind, gibt es ja jetzt schon…
Die Angst ist verständlich: Sind erst einmal Drogen im freien Verkauf erhältlich, dann werden unsere Kinder und Jugendliche doch zur leichten Beute, fürchten viele Eltern. Man sollte ihnen die Wahrheit sagen, denn die Realität ist viel schlimmer. Fragen Sie einmal in einer Schulklasse in Berlin, Wien, Bogota, Miami oder Tokio die Kids, ob sie jemanden kennen, von dem sie wissen, wo und bei wem sie Drogen besorgen können. In jeder Schulklasse auf diesem Planeten wird mindestens ein Zeigefinger nach oben gehen. Dieses Vertriebsnetz vor dem wir so große Angst haben existiert schon längst. Und es ist in den Händen von Menschen, denen wir unser Kinder ganz bestimmt nicht ausliefern sollten: Skrupellosen Terrororganisationen, Guerillabanden, Paramilitärs, Menschenhändlern und religiösen Fanatikern.
Dieser Planet hat den Kampf gegen die Drogen verloren. Es ist ein Kampf, der unter den aktuellen Bedingungen gar nicht mehr zu gewinnen ist. Auf der Gewinnerseite steht ein weltweites Finanzsystem, das opportunistisch bis zur Selbstverleugnung wegschaut, wenn es darum geht, diese unfassbar großen Milliardenströme zu waschen. Die Gewinne, die dabei zu erzielt werden, sind einfach zu gigantisch, um Nein zu sagen. Und es ist eine Waffenindustrie, die beiden Seiten dankbar beliefert: Den von Drogenmilliarden gemästeten Kartellen und den Staaten, die sich verzweifelt dagegen wehren sollen. Je mehr Krieg desto besser. Nicht nur Mexiko ist für die Waffenindustrie ein lukratives Geschäft.
Auf der Verliererseite steht die Gesellschaft. Kids, die in die Abhängigkeit und die Kriminalität abgleiten, um die absurd hohen Straßenverkaufspreise zu zahlen. Gedemütigte Mädchen und Frauen, die ihren Körper und ihre Würde verlieren, um den nächsten Kick organisieren. Die Demokratie, die hilflos mitansehen muss, wie ganze Politikgenerationen und Rechtsstaaten von den Drogenmilliarden einfach gekauft werden. Mutige Zivilisten, Menschenrechtler, Priester, die sich der Mafia in den Weg stellen, um dann auf Müllhalden ermordet wie ein Stück Dreck entsorgt zu werden. Die Medien, weil sie es insgeheim cool finden, wenn ein Steven Tyler oder ein Keith Richards lächelnd von ihren Drogenexzessen berichten, während in den von der Mafia kontrollierten Ländern zeitgleich Richter niedergemetzelt werden, die es wagen, jene juristisch zu verfolgen, die in der Zulieferkette der Prominenten arbeiten. Warum schicken wir diese Promis nicht in die Apotheke und lassen sie 19 Prozent Mehrwertssteuer zahlen.
Die Drogenmafia ist bestens organisiert. Sie ist in vielen Teilen der Welt reicher und mächtiger als die lokale Staatsgewalt. Und sie ist keineswegs ideologiefrei, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte. Islamistische Terror-Organisationen sind mit linken Guerillagruppen und rechten Paramilitärs bestens vernetzt. Jeder der in Münchens Edeldisco P1 oder auf der Bundestagstoilette eine Linie Koks zieht, sollte wissen, bei wem am Ende das Geld landet, das er dafür bezahlt. Ganz bestimmt nicht bei den Campesinos in Kolumbien, Peru oder Mexiko. Es gibt linksregierte und rechtsregierte Staaten, die auf der Lohnliste der Drogenmafia stehen. Kommunisten, Sozialisten, Kapitalisten und Marktwirtschaftler sind käuflich, jeden Tag und überall.
Ein Teenager, der Drogen ausprobieren will, der wird das tun. Egal ob das legal oder illegal ist. Zur Zeit bekommt er seine Testdosis von zwielichtigen Gestalten in irgendwelchen Clubs, Bahnhöfen oder sogar auf dem Schulhof. Wenn wir unsere Kinder schon nicht davon abhalten können, sollten wir sie zumindest nicht an die organisierte Kriminalität ausliefern.
Der Fall der 43 verschwundenen Studenten in Mexiko zeigt wohin es führt, wenn wir das Monster der Drogenmafia weiter mästen. Es wird größer, fetter und mächtiger. Dieses Monster foltert, tötet, korrumpiert. Es kann sich die besten Anwälte der Welt leisten, es ist als Geldgeber in linken und rechten Parteien gern gesehen. Es spricht alle Sprachen dieser Welt, ist in München, Mailand und Miami genauso zu Hause wie in Malaysia und Medellin. Und es kommt immer näher. Es bringt Kokain, Marihuana und Crystal Meth aus allen Teilen der Welt. Und es ist schon jetzt in den Klassenzimmern unserer Kinder. Wir müssen nur richtig hinsehen.
Wenn der Staat die Kontrolle über den Drogenhandel übernimmt, bricht dieser ganze Kreislauf zusammen. Je härter die Gesetze, je schwieriger der Transport, desto höher der Straßenverkaufspreis und desto größer der Gewinn der Drogenbosse. So funktioniert das Geschäft. Diesen Kreislauf durchbricht man nur, durch die Übernahme des Geschäftsmodells. Und der einzige Weg dieses unersättlich gierige Drogenmonster zu besiegen, ist ihm das Fressen zu entreißen: Geld.
Als zu Beginn des Jahres in Venezuela Hunderttausende Menschen auf die Straße gingen, um gegen die Lebensmittelknappheit, die staatliche Zensur und die ausufernde Gewalt zu demonstrieren, da entzündete sich der Funken des Protestes in den Universitäten. Wenig später waren alle Schichten der Bevölkerung in die Proteste einbezogen. Statt auf die Sorgen seiner Landsleute einzugehen, brandmarkte Venezuelas Präsident Nicolas Maduro die Studenten und die Opposition als von Washington gesteuerte als Nazi-Faschisten. Also bin ich hingefahren, habe mir mit meinen eigenen Augen und Ohren in Caracas ein Bild gemacht. Ich habe die Oppositionspartei Voluntad Popular besucht, habe mit führenden Oppositionspolitikern wie Maria Corina Machado gesprochen und habe Vertreter der Studentenvertreter getroffen. Das Ergebnis dieser persönlichen Vor-Ort-Recherche: Mit Faschismus haben diese Leute überhaupt nichts zu tun. Sie stehen für ein demokratisches, marktwirtschaftliches System mit sozialen Komponenten. Man muss ihre politischen Ansichten nicht teilen, aber sie haben das demokratische Recht diese frei äußern zu dürfen und nicht dafür mit körperlicher Gewalt oder gar Haft bestraft zu werden. Die öffentlichen Anschuldigungen von Präsident Maduro waren schlichtweg eine politische Unverschämtheit. Sie sind zudem gefährlich, denn für die bewaffneten sozialistischen Milizen sind die regierungskritischen Studenten seitdem Freiwild.
Vor ein paar Wochen wurde im kolumbianischen Parlament über den rechten Paramilitarismus debattiert. Ex-Präsident Alvaro Uribe, der mittlerweile als Senator im Parlament sitzt, erhob dabei schwere Anschuldigungen gegen die Menschenrechtsaktivistin Yanette Bautista. Sie, die eine Stiftung betreibt, die sich für die Rechte der Opfer des bewaffneten Konfliktes einsetzt, sei eine Angehörige der Guerilla-Bewegung. Also bin ich hingefahren, habe mir mit meinen eigenen Augen und Ohren in Bogota ein Bild gemacht. Ich habe lange mit Yanette Bautista, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen. Mit bewaffnetem Guerilla-Kampf haben diese Leute überhaupt nichts zu tun. Sie stehen für demokratische Grundrechte und ein anderes Kolumbien.
Man muss ihre politischen Ansichten nicht teilen, aber sie haben das demokratische Recht diese frei äußern zu dürfen und nicht dafür mit körperlicher Gewalt oder gar Haft bestraft zu werden. Die öffentlichen Anschuldigungen von Ex-Präsident Uribe waren schlichtweg eine politische Unverschämtheit. Sie sind zudem gefährlich, denn die für die paramilitärischen Banden sind die Menschenrechtler nun Freiwild.
Alvaro Uribe und Nicolas Maduro bilden die extremen Ränder der politischen Landschaft Lateinamerikas und sie obendrein politische Intimfeinde. Wer allerdings einmal näher hinschaut, der erkennt viele erstaunliche Parallelen in der politischen Realität. Beide haben politisch starke Frauen, die sich im Parlament mutig und öffentlich gegen die Mächtigen stellten, aus den politischen Vertretungen entfernen lassen. Piedad Cordoba (Kolumbien) und Maria Corina Machado (Venezuela) haben ihren Parlamentssitz verloren, weil sie den Mächtigen gefährlich wurden. Es ist nicht die einzige Gemeinsamkeit.
Als es in Kolumbien zu Protesten der Landbevölkerung kam, stellte sie Uribe mit Terroristen in eine Reihe und nannte sie in einem Atemzug mit der linken Guerilla-Gruppe Farc. Als die Studenten in Venezuela protestierten, waren sie nach Einschätzung Maduros Faschisten die mit paramilitärischen Banden gemeinsame Sache machten. Die bewusste Kriminalisierung der Opposition ist bei beiden Politikern ein Merkmal ihrer Arbeitsweise. Und sie ist schreiendes Unrecht, auf beiden Seiten der Grenze.
In Kolumbien gab es während der Ära Alvaro Uribe das dunkle Kapitel der Zusammenarbeit von Staat und Paramilitarismus, das bis heute noch nicht aufgearbeitet ist. Und in Venezuela: Die Regierung baut ebenfalls auf paramilitärische Milizen. Immer dann, wenn es wieder kritisch wird im Land, ruft der Innenminister die „revolutionären Milizen“ auf, Ruhe zu bewahren. Eine unverhohlene Drohung, dass es eben auch anders gehen könnte, wenn diese Gruppen erst einmal von der Kette gelassen werden. In Caracas habe ich einmal im gefürchteten Stadtteil „23 de Enero“ mit einem jungen Chef einer Gruppe dieser „revolutionären Milizen“ gesprochen und ihn gefragt, was denn passiert, wenn die Anderen mal an die Macht kommen. Seine lapidare Antwort: „Dann bringen wir die um.“ Vielleicht hilft dieses kleine Erlebnis, die höchste Mordrate Südamerikas zu erklären, die es in Venezuela gibt. In Kolumbien haben die rechten Paramilitärs ebenfalls keine Scheu ihre Todesdrohungen öffentlich kundzutun. Sie kommen gerne per E-Mail. Fragen Sie einmal Yanette Bautista. All das habe ich ebenfalls mit eigenen Augen gesehen und gehört, in Kolumbien und in Venezuela. Es sind keine Erfindungen, auch wenn die Lager Maduros und Uribes derlei Berichte gerne als solche abtun. Auch da sind sich die beiden Intimfeinde erstaunlich ähnlich.
Wer in Kolumbien erlebt hat, wie Menschenrechtler von rechten Paramilitärs bedroht wurden oder wie in Venezuela linke Milizen gerne in großen Gruppen auf ihren Motorrädern oppositionelle Studenten einschüchtern, erkennt sehr schnell, dass zwischen diesen ideologisch so entfernten Lagern in puncto Verletzungen demokratischer Grundrechte keine großen Unterschiede mehr gibt.
Bleibt eine letzte Gemeinsamkeit: Alvaro Uribe konnte sich während seiner Amtszeit auf eine Medienlandschaft verlassen, die ihm freundlich gesonnen war. Sie reichte vom US-amerikanischen Sender Fox-News auf internationaler Ebene bis zur konservativen Presse im eigenen Land. Regierungskritische Journalisten hatten es schwer, wurden bedroht oder gar abgehört. Und in Venezuela: Maduro kann mittlerweile auf ein linientreues mediales Netzwerk bauen, das seines gleichen sucht: Staatliche Medien betreiben eine Hofberichterstattung, die Angst machen muss. Auch Maduro hat mittlerweile sein eigenes „Fox-News“. Der Sender heißt Telesur, ist auf dem ganzen Kontinent zu empfangen. Und die regierungskritischen Medien: Sie werden mit Klagen und Strafen überzogen oder müssen um eine Papierzuteilung bangen. In Caracas gibt es mittlerweile eine ganze Heerschar von arbeitslosen Journalisten, die sich weigerten, aus Karrieregründen das linientreue und gut bezahlte Lied der staatlichen Medien zu singen. Sie haben einen hohen Preis bezahlt. Genauso wie die Journalisten in Kolumbien, die von Drohungen eingeschüchtert, das Land verlassen haben.
Rechtsaußen Alvaro Uribe und Linksaußen Nicolas Maduro, die beiden Endpunkte des politischen Spektrums Südamerikas, sind sich viel ähnlicher, als sie vielleicht selbst glauben wollen. Es sind traurige und beschämende Parallelen.
Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner will nicht zahlen. Mit der Pleite ihres Landes treibt sie ein gefährliches Spiel – auf Kosten anderer. Sie selbst hat wenig zu verlieren. Von Tobias Käufer für die Augsburger Allgemeine Zeitung.
Analyse zum Ausgang des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen in Kolumbien
Viele Lateinamerika-Interessierte fragen sich, warum der amtierende kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen keine eindeutige Rückendeckung für seine Friedensgespräche bekam. Eine Analyse:
Als Juan Manuel Santos im Juli 2008 als Verteidigungsminister unter dem damaligen Präsidenten Alvaro Uribe die von der linksgerichteten Guerilla-Organisation Farc verschleppte Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt mit Hilfe eines Spezialkommandos unblutig befreite, da erreichten seine Zustimmungswerte in Kolumbien Rekordmarken. Die grüne Politikerin war zuvor mehr als sechs Jahre wie ein Tier und unter erbärmlichen Bedingungen als Geisel im Dschungel gehalten worden.
Demonstration gegen die Farc in Bogota. Foto: Tobias Käufer
Als er sich anschließend als Präsident zur Wahl stellte, versprach er seinen Landsleuten eine Fortsetzung der international wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen umstrittenen, in Kolumbien aber populären Politik der „demokratischen Sicherheit“. Santos wurde mit deutlicher Mehrheit gewählt. Vor allem das bürgerlich-konservative Lager stand hinter dem gelernten Journalisten. Vieler Kolumbianer haben nicht vergessen wie die Friedensgespräche mit der Farc ein gutes Jahrzehnt zuvor endeten. Mit einer Farc, die wahllos entführte, mordete und den neuen Präsident Uribe 2002 mit Bomben auf den Präsidentenpalast begrüßte. In den acht Folgejahren sorgte Uribe dafür, dass der bewaffnete Konflikt aus den Großstädten verschwand. Dafür sind ihm die Menschen dankbar, trotz bisweilen schwerer Menschenrechtsverletzungen. In weiten Teilen des Volkes setzte sich aber die Meinung durch: Brutaler Terror muss mit brutaler Härte bekämpft werden, koste es was es wolle. Uribe erfüllte in dieser Hinsicht die in ihn gesteckten Erwartungen.
Sein Nachfolger Santos beging 2012 seinen ersten schwerer Fehler: Er begann die Friedensverhandlungen mit der Farc ohne wirkliche demokratische Legitimation. Viele Wähler aus dem bürgerlich-konservativen Lager betrachteten die Gespräche mit den Rebellen als einen politischen Verrat. Sie haben den blutigen Farc-Terror gegen die Zivilbevölkerung nicht vergessen. Damit öffnete Santos eine politische Flanke für seinen Vorgänger Uribe. Der Rechtspopulist mobilisierte das konservative Lager, das sich von Santos angesichts seiner Aussage im Wahlkampf „Ich sorge dafür, dass die Kolumbianer auch weiterhin ruhig schlafen können“, eine Fortsetzung der Politik der militärischen Stärke erwartet hatte. Klüger wäre es gewesen, die mutigen und auch richtigen Gespräche mit der Farc entweder durch ein Referendum absegnen zu lassen oder sie erst zum Gegenstand des Wahlkampfes im Vorfeld der zweiten Amtsperiode zu machen. Das Argument weiteres Blutvergießen zu vermeiden greift hier nicht: Trotz der Verhandlungen töten beide Seiten fleißig weiter. Geändert hat sich bislang nichts.
Mit einem Referendum oder einem durch Wahlen abgesegneten Auftrag hätte Santos dem Rechtspopulismus Uribes den Wind aus den Segeln nehmen können. Sich Gespräche derartiger Tragweite erst nachträglich vom Volk legitimieren zu lassen, war ein blauäugiger Anfängerfehler.
Der zweite schwere Fehler, der die Wähler in die Arme von Uribe trieb, ist die Wahl des Verhandlungsortes. Havanna, Hauptstadt der skrupellosen kubanischen Diktatur, ist für potentielle Wähler aus dem Santos-Lager kein Platz, den sie für derartige Verhandlungen akzeptieren. Ausgerechnet in einem Land, dessen Regime die Opposition konsequent einsperrt und ihr jegliches politisches Engagement verbietet, über demokratische Reformen zu verhandeln, empfinden viele konservative Wähler als schlechten Treppenwitz der Geschichte. Obendrein hat Santos mit dem Verhandlungsort Havanna Spekulationen und Gerüchten den Boden bereitet. Niemand weiß was dort tatsächlich besprochen und verhandelt wird, ist die gefühlte Wahrnehmung vieler Kolumbianer. Havanna steht nicht gerade Transparenz. Die Kritik zahlreicher Opferverbände und indigener Völker, die sich ausgeschlossen fühlen, verstärkt diesen Eindruck. Auch dass sowohl bei der Farc als auch in der Regierungsdelegation ausschließlich Männer in den entscheidenden Positionen über Krieg und Frieden entscheiden, während die Frauen – oft Hauptleidtragende des Konfliktes – keinen Platz am Verhandlungstisch haben, hat das Uribe-Lager – nicht ganz zu Unrecht und mit einer gehörigen Portion Populismus – scharf kritisiert.
In Stockholm, Oslo oder Genf wäre der Verdacht der Klüngelei um den Frieden erst gar nicht entstanden. Und peinliche Abhöraktionen wie sie sich Uribe-Kandidat Zuluaga leistete, wären wohl überflüssig gewesen. Im Übrigen glaubt nur ein naiver Idealist, dass die Gespräche nicht auch vom fleißigen kubanischen Geheimdienst abgehört und die Erkenntnisse anschließend den Farc-Rebellen zur Verfügung gestellt werden.
Die Stichwahl am 15. Juni wird nach meiner Einschätzung Juan Manuel Santos mit einem blauen Auge gewinnen. Er wird dann die Rückendeckung des kolumbianischen Volkes für seinen richtigen Dialog mit der Farc bekommen. Es sei denn, es gibt in den nächsten Wochen noch ein paar dramatische Umfaller in den Reihen des bürgerlichen und links-liberalen Lagers. Auszuschließen ist das nicht. Rechte wie linke Politiker waren in Kolumbien schon immer käuflich. Der Mann, der Kolumbien mit seinen historischen Friedensgesprächen in eine friedlichere Zukunft führen wollte, hätte dann mit vermeidbaren taktischen Fehlern genau das Gegenteil erreicht. Es wäre eine Tragödie.